A. Struve-Urbanczyk: Die kollektive Wahrnehmung von Musikrechten (1903–1938)

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Titel
Die kollektive Wahrnehmung von Musikrechten (1903–1938). Der Handel mit Musikrechten von der Schaffung unternehmerischer Strukturen bis zum staatlich kontrollierten Monopol


Autor(en)
Struve-Urbanczyk, Alice
Reihe
Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht
Erschienen
Tübingen 2022: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
329 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Zill, HMTM München

Das wissenschaftliche Interesse an urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften wie der GEMA und VG Wort ist in den letzten Jahren nicht zuletzt aufgrund der Digitalisierung merklich gewachsen. Besonders in historisch orientierten Disziplinen sind einige zentrale Arbeiten entstanden.1 Diese Studien eint die Einsicht, dass Verwertungsgesellschaften, die als Mittler von Urheberrechtslizenzen eine zentrale Stellung in der Kulturökonomie einnehmen können und dabei zusätzlich meist moralische und soziale Aufgaben für sich beanspruchen, nicht allein auf der Basis rechtshistorischer Quellen und Fragestellungen verstanden werden können. Die hier besprochene Studie von Alice Struve-Urbanczyk bietet neben einer akribischen rechtshistorischen Aufarbeitung auch immer wieder Anknüpfungspunkte für Fächer der Kultur- und Sozialgeschichte und ist daher ein wertvoller Beitrag zur historischen Einordnung der komplexen Organisationsform Verwertungsgesellschaft.

Struve-Urbanczyk stellt eine Annahme in Frage, die zur Grundüberzeugung jeder Verwertungsgesellschaft gehört: Nämlich, „dass eine kollektive Rechtewahrnehmung zu den geradezu zwingenden Besonderheiten im Urheberrecht gehöre“ und eine „individuelle Rechtewahrnehmung sogar ausgeschlossen […] sei“ (S. 1f.). Die Autorin geht dagegen davon aus, dass der „Weg zu einer kollektiven, sogar monopolisierenden Rechtewahrnehmung durch Unternehmen, die ohne eigene Gewinnerzielungsabsicht handeln, […] nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis einer jahrhundertewährenden Entwicklung“ sei (S. 3). Struve-Urbanczyk legt daher den Fokus auf die Frage, ob und inwieweit Verwertungsgesellschaften als gewinnorientiert handelnde Unternehmen anzusehen seien (S. 4). Ein wesentlicher Teil der Untersuchung bezieht sich dabei auf die Konkurrenz zwischen Verwertungsgesellschaften.

Die ersten beiden Kapitel gehen der Frage nach, ob neben der entstehenden kollektiven Verwertung auch individuelle Verwertungsformen Bestand hatten. Struve-Urbanczyk vergleicht dabei das Aufführungsrecht (Kapitel 1), das die öffentliche Wiedergabe eines geschützten Musikstücks regelt, mit dem mechanischen Urheberrecht (Kapitel 2), das bei der Aufnahme von solchen Stücken auf Tonträgern greift, und unterscheidet drei Verwertungsformen: Die individuelle Verwertung durch Künstler bzw. ihre Verlage, die kollektive Verwertung durch Verlage und Zusammenschlüsse von Verlagen und schließlich die Verwertungsgesellschaften, darunter vor allem die 1903 gegründeten Genossenschaft Deutscher Tonsetzer (GDT) und die 1909 gegründete Anstalt für mechanisch-musikalische Rechte (AMMRE).

Die Autorin diagnostiziert dabei eine zunehmende „Verdrängung“ individueller durch kollektive Wahrnehmungsformen, die mittels Pauschalverträgen „eine kosteneffektive und zeitsparende Art der Wahrnehmung gewährleisten“ konnten (S. 82). Diese Entwicklung wurde u.a. durch die zeitgenössische Sicht auf Kartelle begünstigt, die zwischen Jahrhundertwende und Zweitem Weltkrieg nicht ausschließlich als negative Erscheinungen aufgefasst wurden (S. 47–50). Entsprechend zurückhaltend waren Gesetzgeber und Gerichte gegenüber dem entstehenden Monopol der jungen Verwertungsgesellschaft GDT.

Im Aufführungsrecht waren Urheber:innen und Verlage, die ihre Lizenzen weiter individuell aushandeln wollten, chancenlos. Dies war ebenso der Fall bei den mechanischen Rechten, obwohl sich diese eher für eine individuelle Wahrnehmung angeboten hätten. Schließlich konnte die Herstellung von mechanischen Musikinstrumenten und Tonträgern nur von einer geringeren Anzahl von Akteuren bewerkstelligt werden, mit denen individuelle Verträge theoretisch leichter auszuhandeln und zu kontrollieren wären. An dieser Stelle wäre eine Behandlung der „großen“, Bühnenaufführungen betreffenden Aufführungsrechte wünschenswert gewesen. Diese wurden wie die mechanischen Rechte durch eine übersichtliche Zahl von Lizenznehmern (etwa Opern- und Theaterhäusern) erworben, aber weiterhin individuell lizenziert.

In Abgrenzung zu den Verlagen verstanden sich die Verwertungsgesellschaften nicht als rein wirtschaftliche Gebilde, sondern vor allem als Interessenvertretung ihrer Mitglieder. Insbesondere die 1909 gegründete AMMRE und die 1912 gegründete „mechanische Abteilung“ der GDT zielten „vornehmlich auf die vertragliche Verpflichtung der Urheber und sonstigen Berechtigten“ (S. 147) ab, die nach Meinung von Struve-Urbanczyk unterschiedliche Interessen verfolgten. Das Selbstverständnis von Verwertungsgesellschaften als Interessenverbänden ihrer Mitglieder wurde jedoch schon früh dadurch untergraben, dass die Gesellschaften dem Großteil ihrer Mitglieder nur geringe Informations- und Mitbestimmungsrechte einräumten (S. 143). Dieses Ungleichgewicht in den Rechten der Mitglieder ist noch heute ein häufig angebrachter Vorwurf gegenüber Verwertungsgesellschaften.3 Schon die Konkurrenz zwischen der GDT und der 1915 gegründeten „alten GEMA“ (Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte) wirkte nach Ansicht Struve-Urbanczyks in erster Linie auf das Verhältnis der Organisationen zu ihren Mitgliedern (Kapitel 5), die nun neben der restriktiven Bindung an die GDT auch ein liberaleres, eher nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtetes Modell in der GEMA wählen konnten. Überzeugend stellt die Autorin dar, wie die GEMA mit wachsendem wirtschaftlichen Erfolg und anwachsenden Mitgliederzahlen zunehmend auch Mitspracherechte von Autor:innen einschränkte, deren Repertoire weniger nachgefragt war.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden die Verwertungsgesellschaften per Gesetz zur Vermittlung von Musikaufführungsrechten vom 4. Juli 1933 (auch „Stagma-Gesetz“ genannt) zur STAGMA (Staatlich genehmigte Gesellschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte) vereinigt. Besonders wertvoll ist die Analyse der Repressionspotentiale des NS-Rechts. Diese Potentiale werden besonders bei der Untersuchung des Paragraphen 3 des „Stagma-Gesetzes“ deutlich, der der STAGMA die Möglichkeit gab, nicht lizenzierte Aufführungen durch die Polizei auflösen zu lassen (S. 270). Auf diese Zensurfunktion des Rechts hinzuweisen, ist ein wichtiges Ergebnis der Arbeit, wenn auch die tatsächliche Umsetzung dieses Gestaltungsraums nur kursorisch behandelt wird.

Kritisch vermerkt gehört indes, dass in diesem Abschnitt historisch unpräzise Formulierungen den argumentativen Fluss stören. So scheint die Feststellung „die Regulierung des Rechts der Verwertungsunternehmen führte zu einem Ausbau des staatlichen Einflusses auf die bestehenden Marktakteure“ (S. 269) beinahe euphemistisch für die „Gleichschaltung“ der Autorenorganisationen, die die Autorin selbst zuvor mit angemessener Akribie untersucht hat. Der Einbezug der jüngeren grundlegenden Forschungsarbeiten zur Geschichte des Urheberrechts im Nationalsozialismus, wie die umfassenden Studien von Sophie Fetthauer zur Geschichte der Musikverlage und der Deutschen Grammophon, wie auch die ausführliche Schilderung der Rechtsdebatten in Weimarer Republik und NS-Regime von Ralf-M. Vogt, hätten die Arbeit an dieser Stelle sicherlich bereichert.4

Im Ergebnis ist Struve-Urbanczyk zuzustimmen, wenn sie die „Neuausrichtung der Verwertung der Aufführungsrechte im Deutschen Reich zur Durchsetzung der von den Nationalsozialisten verfolgten Vorgaben in der Kulturpolitik“ (S. 271) feststellt und das „Stagma-Gesetz“ als „einen Auswuchs der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik“ bezeichnet. In diesem Zusammenhang ist auch das Ergebnis wichtig, dass die STAGMA „nicht als Fortführung der privatwirtschaftlich tätigen „alten Gema“ und GDT betrachtet werden“ könne. Schließlich zogen sich die Vertreter der STAGMA nach dem Krieg genau mit dem Verweis auf die reine wirtschaftliche Tätigkeit aus der Verantwortung und konnten so die Kontinuität der STAGMA als GEMA gewährleisten.

Der Zeitraum des Krieges und der Kontinuitäten findet in dem Buch nicht mehr statt. Die Beschreibung endet mit der Eingliederung der AMMRE in die STAGMA als Abteilung für mechanische Rechte 1938 (Kapitel 8). Dabei behandelt Struve-Urbanczyk auch die internationalen Verflechtungen von AMMRE und GDT. Diese erschwerten, so die Autorin, „die Unterwanderung [der Rechtsbeziehungen zur Schallplattenindustrie] durch die Nationalsozialisten“ (S. 301). Auch dies ist ein wichtiger Befund, selbst wenn man kritisch hinzufügen muss, dass die komplexen internationalen Beziehungen der Aufführungsrechtsgesellschaften von der Autorin nur am Rande behandelt werden.

Unterm Strich liefert die Studie Struve-Urbanczyks eine wichtige und konzise, dabei detailreiche rechtshistorische Untersuchung des faszinierenden Gegenstands der Verwertungsgesellschaft. Die Autorin öffnet dabei ihren rechtshistorischen Fokus für größere, allgemeinhistorische Kontexte. Sie berücksichtigt ein breites Quellenkorpus, das neben den Rechtstexten, Kommentarwerken und Urteilen auch Verlagskorrespondenzen umfasst. Besonders positiv zu vermerken ist, dass Struve-Urbanczyk und der Verlag einen Teil der Quellen online bereitstellen und so weitere Forschungen erleichtern. Die klar strukturierte Studie ist damit ein grundlegender Beitrag zur historischen Einordnung von Verwertungsgesellschaften.

Anmerkungen:
1 Monika Dommann, Autoren und Apparate. Die Geschichte des Copyrights im Medienwandel, Frankfurt am Main 2014; Benjamin George Martin, The Nazi-fascist new order for European culture, Cambridge 2016; Rasmus Fleischer, Musikens politiska ekonomi: lagstiftningen, ljudmedierna och försvaret av den levande musiken, 1925–2000, Ink 2012.
[2] Manuela Maria Schmidt, Die Anfänge der musikalischen Tantiemenbewegung in Deutschland. Eine Studie über den langen Weg bis zur Errichtung der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer (GDT) im Jahre 1903 und zum Wirken des Komponisten Richard Strauss (1864–1949) für Verbesserungen des Urheberrechts, Berlin 2017, S. 87 u. 442.
3 S. etwa Michael Hutter, Neue Medienökonomik, München 2006, S. 91.
4 Ralf-M. Vogt, Die urheberrechtlichen Reformdiskussionen in Deutschland während der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2004; Sophie Fetthauer, Musikverlage im „Dritten Reich“ und im Exil, Hamburg 2007; Sophie Fetthauer, Deutsche Grammophon. Geschichte eines Schallplattenunternehmens im „Dritten Reich“, Hamburg 2000.

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